3GO – Die Dreigroschenoper

Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern

Ein Schiff mit acht Segeln

Die Dreigroschenoper, 2012

„Na, wann kommt denn dein Schiff, Jenny?“ – Die spöttelnde Frage an Jenny, die Seeräuberbraut, haben sich lange auch die Beteiligten am jüngsten Musiktheaterprojekt des OHG gestellt: Wie lassen sich Weills disharmonische Kompositionen arrangieren und mit heutigen Hörgewohnheiten vereinbaren? Und wie lässt sich Brechts episch erzähltes, gesellschaftskritisches Stück inszenieren, um beim Springer Publikum Gehör zu finden?

Die „3GO“ dümpelt zunächst lange Zeit vor sich hin, die im Zwielicht des Hafenmilieus von Soho herumstreichenden Figuren versuchen die Segel zu setzen und das Schiff auf Kurs zu bringen. Da fällt der Blick auf Polly (Lena Schwenteck), Tochter des zwielichtigen Geschäftsmannes Jonathan Peachum (Torge Tonn), die sich mit ihren Sehnsüchten und ihrem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen genauso auch heute noch vorstellen lässt. Um sie entspinnt sich eine Geschichte von Arm und Reich, um Bourgeoisie und Dekadenz, um Tugend und Moral.

Polly und Celia Peachum

Schnell sind die Segel auf der Bühne hochgezogen, und fortan bewegt sich die tugendhafte Polly durch ein anrüchiges Hafenviertel und in einem ebenso biederen wie bröckligen Zuhause. Im schimmernden Mondlicht erliegt sie dem Charme ihres ganz persönlichen Capt’ns, des berüchtigten Kriminellen Mackie Messer (Louis Janik), der für sie das Boot vom Ufer losmacht und ihre Träume von einem Leben voll Abenteuer und Freiheit entfacht.

 

Doch der sich in einem Varieté wiederfindende und damit bereits in den Handlungsraum einbezogene Zuschauer vermag es sich trotz Wein und leckerer Häppchen nicht so recht gemütlich zu machen, immer wieder sieht er sich mit dem stichelnden Conferencier (Johannes Zieseniß) konfrontiert: Kommentare wie „Glotzt nicht so romantisch“ oder die Frage, wie viel Hure eigentlich in ihm stecke, lassen ihn, ganz im Sinne Brechts, stutzen und berauben ihn der Hoffnung auf eine heile Welt auf der Bühne. Und so beginnt auch Pollys Welt erste Risse zu bekommen, die Warnungen ihrer Mutter Celia Peachum (Sophie Stuckenberg – „Das ist der Mond über Soho“) in den Wind schlagend, ergibt sie sich dem Werben Mackies, findet sich unvermittelt in einer korrupten und schlüpfrigen Hochzeitsgesellschaft wieder, während der sich die erträumte Freiheit bereits als Illusion abzeichnet, wenn Polizeichef Brown (J. Zieseniß) mit Mackie in Jugenderinnerungen schwelgend singt: „Die Welt war dir viel zu klein, du wolltest eine neue, eine größere. Und ich hab gesagt: ,Na mal sehen, vielleicht zu Weihnachten.’“

Mackie Messer
Die Hochzeitsgesellschaft
Mackie Messer und Polizeichef Brown

 

 

 

 

 

 

Polly mag ihre Träume nicht sogleich aufgeben, sorgt sich um die Bettler des Viertels; von deren Seefahrerromantik inspiriert, sieht sie sich in ihren Phantasien, die sie mit der Spelunken-Jenny (Linda Dörries) teilt, auf einem „Schiff mit acht Segeln“ entschwinden, sich ganz den Worten eines Capt’n Jack Sparrow hingebend, dass ein Schiff nicht nur ein Kiel und ein Deck und ein Rumpf und ein Segel sei, sondern Freiheit bedeute. „Doch die Verhältnisse sind nicht so“ – Polly erkennt, dass ihr Capt’n auch schon mal vom Kurs abkommt und es mit der Treue nicht so genau nimmt, und bringt schließlich – nach einem kapriziösen Eifersuchtsduett mit Rivalin Lucie (Sonja Sandig) – ihre Desillusionierung mit der Ballade „Someone like you“ zum Ausdruck und sorgt in diesem Moment für Gänsehaut beim Publikum.

Spelunken-Jenny
Lucie und Polly
Polly

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieses hat längst gemerkt, dass sich hier ein Team gefunden und ihre „3GO“ flott gemacht hat, das es genoss, mit beeindruckenden gesanglichen und schauspielerischen Darbietungen, unterstützt von einem charmant aufspielenden Orchester und einer dynamischen Band, Abend für Abend durch eine von Alex Michel ins (un)rechte (Zwie)licht gesetzte Welt von Bettlern und Huren – auf und vor der Bühne – zu segeln und so für eine Vielfältigkeit der Inszenierung zu sorgen, die nicht nur zur aktiven Auseinandersetzung mit eigenen Wert- und Moralvorstellungen animierte, sondern den Zuschauern vor allem auch vier atmosphärisch dichte Theaterabende bereitete.